Reaktion auf Leserbrief von L.Strobel

Veröffentlicht am 07.03.2016 in Allgemein

re: Abschaffung der unechten Teilortswahl; Antwort auf Brief von H. Strobel SchwaBo 5.3.

 

Unechte Teilortswahl: Lauter leere Versprechungen

 

Herr Strobel beschreibt das Ergebnis einer Verhältniswahl korrekt: Weil die Sitze nach dem Gesamtergebnis der Wahllisten verteilt werden, kommt - wie heute auch schon - nicht jeder Kandidat mit einer hohen persönlichen Stimmenzahl zum Zug. Aber das ist dann Ausdruck des Wählerwillens und nicht des Umstandes, dass - wie im jetzigen System - einige Plätze von vornherein vergeben sind - "gesetzt" nennt man das bei der Auslosung im Sport. Hat ein Ortsteil einen garantierten Sitz im Gemeinderat, egal wieviel Stimmen auf ihn entfallen, ist das eine weitaus größere Missachtung des Prinzips der Stimmengleichheit zugunsten der Idee der Repräsentation, als wenn im Verhältnis der Gesamtstimmenzahl die Sitze unter den erfolgreichsten Listenkandidaten verteilt werden. Hinzu kommt, dass derzeit aus jedem dörflichen Wahlbezirk nur ein oder zwei Kandidaten gewählt werden dürfen und neben den "gesetzten" "Platzhirschen" ihren Mitbewerbern bestenfalls die Hoffnung auf ein Ausgleichsmandat bleibt.

 

In Sulz haben wir es mit 10 Stadtteilen zu tun, wobei die Kernstadt etwa ein Drittel der Gemeinderäte, die kleineren Ortsteile die große Mehrheit stellen. Das ging oft gut, das bleibt auch nach Abschaffung der Unechten Teilortswahl so. Aber heute zeigt die Gemeinsamkeit Risse. Das Regionale Gewerbegebiet führte zu einer tiefen Spaltung in der Bevölkerung und dümpelt seit 10 Jahren träge vor sich hin. Die Daimler- Ansiedlung scheiterte u.a. am ortsteiligen Egoismus, dabei war sie auf Jahrzehnte hinaus die einzige Chance, den zwei Grundübeln der Sulzer Kommunalpolitik beizukommen: der Abwanderung insbesondere der jungen Qualifizierten und der chronischen Unterfinanzierung. Geschockt von dieser Erfahrung machte die SPD- Fraktion im Gemeinderat 2013 zum 111. Geburtstag des Ortsvereins der Stadt ein Geschenk: den Antrag, die Unechte Teilortswahl aufzuheben. Im Folgenden beschloss der Gemeinderat, diese Entscheidung den Bürgern zu überlassen.

Den ersten - gescheiterten - Versuch zur Abschaffung eines überflüssig gewordenen Monstrums unternahm bereits 1998 der damalige Bürgermeister Vosseler und begründete das so, dass "... die Integration der Stadtteile so weit fortgeschritten ist, dass aus der Sicht der Verwaltung kein dringender Bedarf mehr besteht, an der Unechten Teilortswahl festzuhalten. ... Die starke Position der Ortschaftsräte (!) wirkt sich auf Entscheidungen im Gemeinderat wesentlich stärker aus als die Zahl der Gemeinderäte aus einzelnen Ortsteilen."

 

Einige Jahre später stieß Bürgermeister Hieber schon in den Vorgesprächen einer Abschaffung auf den geschlossenen Widerstand insbesondere der Teilortvertreter. Auch nach unserem Vorstoß machten die Ortschaftsräte und Ortsvorsteher mobil - deren Existenz und Funktion von einer Änderung des Wahlrechts gar nicht betroffen wären.

 

Stattdessen gilt für die Beurteilung der Unechten Teilortswahl nach wie vor: Sie ist

 

- grotesk ungerecht, weil die Stimmen je nach Bevölkerungszahl des Wahlbezirks unterschiedlich wiegen: mal genügen 300, mal braucht es 800 Stimmen zu einem Sitz; manchmal reichen 2000 nicht

- ineffizient, denn sie bevorzugt "Platzhirsche", beschränkt die Zahl der wählbaren Kandidaten und unterdrückt den politischen Nachwuchs

- so kompliziert, dass sie von Wahl zu Wahl mehr Fehl- und ungültige Stimmen produziert - zuletzt 27%

- mit dem Gelöbnis der Gemeinderäte, das Wohl der GEMEINDE  zu fördern, nicht vereinbar

- eine Ursache von neidischem Schielen auf Investitionen im benachbarten Teilort

- nicht geeignet, den Blick aufs Ganze zu lenken

- leicht durch die starke Stellung der Ortschaftsräte und die durchgehende Mitsprache der Ortsvorsteher zu ersetzen

- eine juristisch- politische Fehlkonstruktion. Letzteres verdient, da weitgehend unbeachtet, etwas mehr Raum: 

Die Illusion der Unechten Teilortswahl liegt darin, dass ihre Befürworter gar keine Lobbyisten ihres Teilorts sein dürfen: 23 von 24 Gemeinderäten haben außerhalb ihres Wahlbezirks die Mehrheit ihrer Stimmen geholt. Wie da wer immer noch behaupten kann,  nur ein garantierter Ortsteilsitz im Gemeinderat könne als Interessenvertretung wirken, erschließt sich mir nicht. Außerhalb ihres Wahlbezirks mehrheitlich gewählt wurden diese Räte doch nicht, weil man von ihnen Einsatz in erster Linie für ihren Ortsteil erwartete! Es geht eben gerade nicht um diese Art des Verteilungskampfes! Es geht darum, ihn zu vermeiden.

 

Und was die düsteren Prophezeiungen angeht, die überall laut werden: Den Ausgang der Wahlen 2019 vorherzusagen, ist reine Kaffeesatzleserei. Wenn jeder jeden wählen kann, wird nicht der Wohnort mit den höchsten Einwohnerzahlen, sondern der mit den besten Kandidaten angemessen vertreten sein. Dazu aber müssen die Bürger mit "Ja" stimmen.

 

Klaus Schätzle

 

 

 

 

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