Einweihung des Gedenksteins am anonymen Gräberfeld in Sulz

Veröffentlicht am 16.11.2010 in Gemeindenachrichten

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

Kein Engelsarm kann aus dem Grab mich reißen,
Kein Heer von Engeln mich für tot erklären - sagte Edward Young vor 260 Jahren.

Ich geb' ihm Recht.

So ein Gräberfeld ist eine Zumutung - auch für uns. Und wir haben es auf Zuwachs angelegt, den Stein in die künftige Mitte gesetzt. Immer mehr Menschen treffen diese Entscheidung, die Entscheidung sich anonym bestatten zu lassen. Sie ist unumkehrbar.

Warum werden Menschen auf diese Weise bestattet?
Aus Zorn und Verbitterung?
Aus Rücksichtnahme - bloß niemandem zur Last fallen?
Aus ihrer Einsamkeit heraus?

Mit den Worten von Emily Dickinson: Dieses Grab ist mein Brief an die Welt, die mir nie geschrieben hat. Niemand hat meine Botschaft gehört.

Ganz anders der Kaiser Augustus: Wenn du mein Grabmal suchst, schau dich um! Ich habe die ganze Welt nach meinen Vorstellungen geprägt.

Beide Einstellungen, verbittert die eine, prahlerisch die andere, haben eines gemeinsam: Beiden liegt die Überzeugung zugrunde, dass es ein gemeinsames Gedächtnis der Welt gibt, in welchem alle Namen verzeichnet sind und in welchem man sich noch als Toter beurteilen lassen und sich rechtfertigen muss.

In diesem Sinne, hat der Bildhauer Pallesche, dem wir diesen großartigen Stein verdanken, auf dem Kissenstein formuliert: Spuren bleiben. Ich sage dazu: es geht gar nicht anders. Ich meine nicht die bezahlte, digitale "Unsterblichkeit" auf der Internetplattform "Stayalive.com". Sondern: jeder Mensch, der je etwas getan hat oder etwas gewesen ist : ein bekannter Künstler oder ein liebevoll gepflegtes krankes Kind: jeder Mensch ist in in diesem kollektiven Gedächtnis verankert.

Oder wie Edward Young gesagt hat: Kein Heer von Engeln [kann] mich für tot erklären.

Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen und wünsche uns, dass wir dieses Gräberfeld nie voll kriegen.

Klaus Schätzle

 

Suchen

Counter

Besucher:114588
Heute:52
Online:1