Haushaltsrede 2014 der SPD-GAL-Fraktion

Veröffentlicht am 03.12.2013 in Kommunalpolitik

Wohlfühlen im Cluster?

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Die Zahl der Studien über die Zukunft des ländlichen Raumes wächst so besorgniserregend, wie es die Prognosen selber sind. In der wichtigsten, IREUS, nimmt Sulz eine äußerst unbefriedigende Position ein und auch die IHK hat uns vor einem Jahr in ihrer Darstellung der Entwicklungschancen des Kreisnordens in den Cluster D gesteckt, zu den " Gemeinden ohne erkennbare Entwicklungsstärken " aber mit " Tendenz zur Abwanderung jüngerer Menschen ".

Das alleine wäre schon schlimm genug. Das Problem verschärft sich noch durch die überdurchschnittliche generelle Schrumpfung unserer Einwohnerzahl seit 2003, obwohl wir den dritthöchsten Wanderungssaldo im Kreis aufweisen. Und Hochschulen gibt es nur außerhalb des Kreises. Unser Gewerbesteueraufkommen ist vergleichbar dem von Dunningen, unsere Aufgaben als Unterzentrum - faktisch Mittelzentrum - sind zahlreicher. Als Gemeinde ohne erkennbare Entwicklungsstärke von Wissenschaft und IHK abgestempelt zu werden, tut weh. Müssen wir uns diesen Schuh anziehen?

Seit letztem Jahr gibt es den Bürgerarbeitskreis, hat der HGV seine Zukunftswerkstatt durchgeführt, haben Gemeinderat und Verwaltung die Integrierte Stadtentwicklungskonzeption ins Leben gerufen. Anders als der Bürgermeister sind wir nicht der Ansicht, dass dies alles unter "beeindruckend hoher Beteiligung" der Bürgerschaft ablief. Da ist noch viel Kommunikation zu leisten, angefangen von der Begrüßung und Einführung unserer jährlich mehr als 600 Neubürger bis zur Einbeziehung der überfallartig mit Wahlrecht ausgestatteten 16-jährigen.

Derzeit ist ganz Sulz unterschiedlich fest in der Hand von Uninteressierten und Uninformierten. Ganz Sulz? Gottseidank, nein. Eine kleine Gruppe engagierter Mitbürger im einstelligen Prozentbereich stemmt sich dem entgegen und bringt ihre Ideen ein. Und richtig gut ist es um die Bereitschaft unserer Einwohner bestellt, sich in Vereinen zu engagieren, wie anlässlich der Heimattage sichtbar wurde. So richtig schlecht sind wir also nicht drauf. Jeden Tag strömen 1500 Schüler in die Stadt, in (theoretisch) 10 - 20 Minuten sind wir in einem Krankenhaus, die Ärztedichte ist noch befriedigend, es gibt viele Arbeitsplätze innerhalb eines Radius' von 30 Minuten, die Arbeitslosigkeit gestern betrug 2,9 %. Die Bereitstellung eines Trägerdarlehens der Stadt von einer Million an den Eigenbetrieb Abwasserbeseitigung stellt ein seit Jahren nicht gekanntes Luxusproblem dar. Die zu erwartenden Investitionen aus der ISK3 sind mittelfristig finanzierbar, die Schuldentilgung läuft planmäßig. Das alles zeigt: nicht der Vermögenshaushalt, nicht einmal unsere Mittelzentrumfunktion, ist das Problem. Das Sorgenkind ist der Verwaltungshaushalt. Wir sind immer noch grausam unterfinanziert, der laufende Betrieb der Kindergärten - trotz enorm gestiegener Landeszuschüsse, Unterhaltung der Infrastruktur und Bewirtschaftung trotzen als Fixkosten jeder konjunkturellen Schwankung der Einnahmen. Die Rathäuser in Renfrizhausen, Hopfau, und Bergfelden, die Kindergärten in Dürrenmettstetten und Renfrizhausen, die Glattalhalle: sie alle bedürfen gewaltiger Investitionen. Die durch die ISK ausgelösten Maßnahmen werden weitere Folgekosten nach sich ziehen. Und viel Zeit haben wir nicht, 2020 grüßt die grundgesetzliche Schuldenbremse.

Wer hat Recht - IHK oder ISK? Haben wir unsere Zukunft hinter uns oder vor uns? Haben die Empfehlungen der Integrierten Stadtkonzeption in Sachen Abwanderung der Jugendlichen und Unterfinanzierung das Ei des Kolumbus gefunden? Da werden wir uns noch ordentlich drüber in die Wolle kriegen. Unbestritten wenigstens gilt: " Überlebenschancen für alle Teilorte bestehen nur, wenn ein Zentralort gut entwickelt wird." Identifikation mit dem eigenen Dorf, dem eigenen Stadtteil, ist ganz wichtig: kein Ortschaftsrat, keine Feuerwehr, keine Nachbarschaftshilfe ist anders denkbar. Aber sie ersetzt keine Arbeitsplätze und hält die "Altersremanenz" nicht auf: die Jungen gehen, die Alten bleiben. Also müssen wir darauf achten, dass das Wohlfühlen nicht wichtiger wird als das Entwickeln. Unter 5000 Einwohnern, sagt die Kommunalwissenschaft, ist eine angemessene Altersversorgung unmöglich. Die Stadtteile müssen also kooperieren wie es die Gesamtstadt mit ihren Nachbargemeinden tun muss und schon tut. Ob das so eintritt, wird sich zeigen.

Die SPD-GAL-Fraktion setzt indes große Hoffnung auf die im Stadtentwicklungskonzept aufgeführten Entwicklungsziele. Wenn einige auch vage gehalten sind und der Interpretation jeden Spielraum lassen ( "gemeinsame Identität", "lebenswert", "wachsend"," ressourcenbewusst", "hochwassersicher"), andere sind von bemerkenswerter Klarheit: "nachhaltig finanziert" soll die Stadt werden, "alle" Bevölkerungsgruppen sollen am sozialen und politischen Leben teilhaben können in einer Stadt mit "intakter "Infrastruktur". Das sind Ziele, die sich in einem angemessenen Zeitraum von 3 - 5 Jahren überprüfen lassen, was wiederum ebenso unbequem wie zielführend ist.

Die SPD-GAL-Fraktion hat zu vielen dieser Ziele konkrete Vorstellungen. Wir geben allerdings auch zu, dass wir, was nachhaltige Finanzierung angeht, noch verschiedener Meinung sind. Nicht jedoch bei folgenden Zielen:
"Ressourcenbewusster" Umweltschutz geht nur wenn die Bevölkerung einen konkreten Nutzen davon hat. Deshalb ist uns das "Bürgerwindrad" so wichtig, das von Privathaushalten gegen Zinserträge mitfinanziert werden soll. Aber wir möchten uns nicht mit einem Alibi- Windrad begnügen. Die Geschichte der ersten beiden Industriellen Revolutionen zeigt, wo Energie erzeugt wird, entwickelt sich Wohlstand. Ist die Energie dezentral und nachhaltig, steht zu hoffen, dass auch der Wohlstand dezentral verteilt und nachhaltig organisiert ist. Statt über Notstromaggregate nachzudenken, die bestehende Vorbehalte nur noch zu vertiefen geeignet sind, sollten wir uns auf nachhaltige Produktions- und Speicherungsmethoden werfen. Dezentrale Speicher, wie sie im Mühlbachtal angeregt wurden, werden viel zu rasch verworfen. Die Peak - Oil - Studie hat hier in Sulz wenig Eindruck gemacht. Straßen werden immer noch geplant und gebaut als wäre das Auto das gottgewollte Transportmittel für die Ewigkeit. Wo bleibt die Planung für die Pedelec- Verbindungswege in die Stadtteile? Wo das Konzept einer "Stadt der kurzen Wege"? Wie soll das werden, wenn die altgewordenen Singles in ihren Einfamilienhäusern in der Fläche versauern? Eigentlich sollten wir längst zu konsequentem Flächenmanagement übergehen, statt in den Acker zu bauen. MELAP und MELAP plus zeigen doch nur, dass Innenentwicklung ( Schließung von Baulücken ) nur Chancen hat, wenn Außenentwicklung klar zurückgefahren wird. Kein Wunder, dass wir jetzt auch für die Stadtteile kostenintensive Sanierungsprogramme brauchen - um die Ruinen neben den voll erschlossenen "Gärten" abzureißen. Natürlich ist die Gewährung von Steuervorteilen in Sanierungsgebieten eine gute Sache. Sie ist aber nur notwendig, weil die Innenentwicklung nicht vorankommt, wenn man sie dem Markt überlässt. Immer mehr Grundeigentümer werden zu Wortführern einer Bewegung mit ausgeprägter "bloß - nix - verändern" - Mentalität. Wir leben aber von Innovation, wenn wir schon keine Seltenen Erden verkaufen können. Und Innovation ist nun mal mit Veränderung verbunden. Stattdessen schaffen wir mit jedem Neubaugebiet die Voraussetzungen für weitere steuerfinanzierte Sanierungsmaßnahmen in den Ortskernen. Man fragt sich, wem das nutzt. Wie lange wollen wir uns noch hinter der sogenannten "Nachfrage" verstecken? Wo bleibt die Sulzer Antwort auf die gescheiterte Warschauer Klimakonferenz? Von den selbsternannten Weltlenkern ist nichts zu erwarten. Die haben in Warschau Münzgeld und kleine Zloty- Scheine gesammelt - für die Opfer des Taifuns auf den Philippinen!
Teilhabe "aller" Bevölkerungsgruppen am gesellschaftlichen Leben? Das ist weit mehr als nur die Herstellung von Barrierefreiheit, wo immer es geht - und das ist alleine schon eine Herkulesaufgabe. Die Spaltung der Bevölkerung in arm und reich schreitet voran. Am 27. November berichteten die Zeitungen gleich aus drei verschiedenen Blickwinkeln darüber. Die OECD warnte vor Altersarmut besonders bei geringverdienenden Frauen. Der "Armutsbericht" der Bundesregierung zeigt, die unterste Einkommensschicht, die weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens aufweist, hat von 7,4 (1993) auf 12 Prozent zugenommen. Und der Papst stellt fest, das System ist in der Wurzel ungerecht, und sieht strukturelle (!) Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte als Ursache aller Probleme. Starker Tobak - haben wir was damit zu tun? Nun, zu den strukturellen Ursachen der Ungleichheit tragen auch wir bei. Das fängt damit an, dass unsere Schulden für unsere Gläubiger Einkommen sind. Zins und Tilgung werden zum Teil über die Grundgebühr bei der Strom- und Abwasserrechnung erwirtschaftet. Grundgebühren wirken wie indirekte Steuern, einkommensstarke Haushalte spüren sie kaum, für einkommensschwache stellen sie prozentual eine deutlich höhere Belastung dar. Genauso wirken unsere einkommensunabhängigen Kindergartenbeiträge. Gebühren und indirekte Steuern, gibt es auch auf Landes- und Bundesebene; zusammen sorgen sie dafür, dass, wer unten ist, dort bleibt. Dies, obwohl es doch die vornehmste Aufgabe der Kommunen ist, die unabdingbaren Lebensgrundlagen bereitzustellen. Wenn ärmere Bürger einen größeren Teil ihrer Einkommen dafür aufwenden sollen als wohlhabende, unterliegen sie dieser strukturellen Ungleichheit. Dabei gilt doch als einer der Leitsätze des Sozialstaats: Jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten und erhält nach seinen Bedürfnissen. Folgt man diesem Ansatz, dann dürften staatliche Leistungen nur noch aus direkten Steuern beglichen werden, die sind wenigstens ansatzweise gerechter. Bevor Sie jetzt kritisch die Augenbrauen hochziehen, denken Sie daran, wie lange J.M. Keynes und James Tobin schon tot sein mussten, bis sich erwies, dass sie Recht hatten.
Und Teilhabe hat auch mit Wahlbeteiligung zu tun. Genauer gesagt, mit dem Bedürfnis, an Wahlen teilzunehmen. Die Gemeinderatswahlen 2014 finden parallel zu den Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Zwei Loser ergeben gebündelt aber noch lange keinen Gewinner. Wir meinen, dieser Gemeinderat und diese Verwaltung beziehen sich auf Europa nur, wenn es etwas zu schimpfen oder zu befürchten gibt. Das ist uns zu wenig. Dass wir ihm Frieden zu verdanken haben, Exporterfolge, Freizügigkeit, das gerät alles ins Hintertreffen. Einzelstaaten hätten der zerstörerischen Kraft der Finanzmärkte nichts entgegenzusetzen. Europa ist weder richtig demokratisch organisiert noch tut es genug gegen die Arbeitslosigkeit: aber das sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, indem wir beispielsweise mal eine Europa- Woche organisieren. Dass sich das lohnt, hat man an der "Hände-weg-vom-Wasser"-Kampagne gesehen.
"Intakte"Infrastruktur: Sulz hat mit der Landesregierung zusammen Kleinkindbetreuung, Sprachförderung und Schulsozialarbeit in vorbildlicher Weise angepackt. Warum dann nicht beim Thema Gemeinschaftsschule genauso verfahren? Wenn auf dem Rathaus wirklich ideologiefreie Politik betrieben wird, dann ist es Zeit, das diskriminierende alte System, das so viele Begabungen ungenutzt lässt, durch ein besseres zu ersetzen. Die Zeit dazu ist reif.
Die GAL- SPD- Fraktion stimmt dem Haushaltsplan 2014 zu. Warten wir nicht, bis sich herausstellt, ob IHK oder ISK Recht bekommen. Zeigen wir den Eierköpfen über der Zukunft des ländlichen Raums, dass sie sich geirrt haben. Unterfinanzierung und Abwanderung müssen ein Ende haben. Packen wir's an!

Klaus Schätzle, 1.12.13

 

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