Integrationsarbeit des SPD-Ortsvereins

Kooperation mit dem türkisch-islamischen Kulturverein


Klaus Eisenhardt (li.) und Seref Varli im Gespräch

Neugierde auf beiden Seiten groß

SPD-Ortsverein plant gemeinsame Vorstandssitzung mit dem türkisch-islamischen Kulturverein

Von Jens Sikeler

Sulz. Der SPD-Ortsverein und der türkisch-islamische Kulturverein intensivieren ihre Zusammenarbeit. Das vereinbarten die Genossen bei ihrem Monatstreff mit dem Schriftführer des Kulturverein Seref Varli.

Am 20 Juli ist eine gemeinsame Sitzung der beiden Vorstände im neuen Gebäude des Kulturvereins geplant. Neu ist die Zusammenarbeit allerdings nicht. Bereits in der Vergangenheit gab es gemeinsame Veranstaltungen. Varli kandidierte außerdem bei der letzten Kommunalwahl für die SPD. Die Neugierde auf beiden Seiten war groß. Sehr beredt klärte Varli die Genossen über die Befindlichkeiten seiner Vereinsmitglieder auf. Überrascht waren die Genossen darüber, dass bei türkischstämmigen Mitbürgern immer noch mehr über die türkische, als über die deutsche Politik gesprochen wird.

Die Genossen haben den Integrationsbeirat initiiert und als Bestandteil dieses Projekts will Klaus Schätzle, im Kollektivvorstand für den Gemeinderat zuständig, auch verstanden wissen. Die Fragen von Klaus Eisenhardt, dem Sprecher des Vorstandes, zielten in die gleiche Richtung. „Wie muss Integration betrieben werden?“ wollte er wissen und hakte gleich nach: „Wie soll es weitergehen?“ Um diese Fragen zu beantworten hätte es sicherlich mehr Zeit gebraucht, als die 90 Minuten, die Varli bei den Genossen weilte. Die Idee Schätzles in Sulz eine Bildungsberatung anzubieten fand er sehr interessant. Immer mehr türkischstämmige Eltern versuchten ihre Kinder auf das Gymnasium zu bekommen, hat Varli beobachtet. Nur wenig sei allerdings darüber bekannt, wie es mit alternativen Bildungswegen aussieht. Ebenfalls von Schätze stammt die Idee über die unterschiedliche Herangehensweise türkischer und deutscher Medien an bestimmte politische Themen zu diskutieren . Über eine solche Veranstaltung soll bei der gemeinsamen Veranstaltung diskutiert werden.

Zerschlagen haben sich die Hoffnungen der Genossen noch in diesem Jahr zusammen mit der AWO ein Open-Air Kino veranstalten zu können. Das Subiaco, das die Technik zur Verfügung stellen sollte, hatte wider Erwarten doch keinen Termin mehr frei. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Die Planungen für das nächste Jahr laufen bereits.

 

Forderung der SPD-Fraktion nach einem Integrationsbeirat in Sulz

„Wir wissen viel zu wenig voneinander“

Die SPD-Fraktion hat einen Antrag für einen Integrationsbeirat gestellt – Klaus Schätzle erklärt, warum dieser wichtig ist

SULZ (ang). „Integration ist keine Einbahnstraße“ heißt es im Antrag der Sulzer SPD an den Gemeinderat. Auch in Sulz leben Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, kann für das Miteinander noch etwas getan werden. Ein erster Schritt wäre es, so Klaus Schätzle, einen Integrationsbeirat einzurichten.

Herr Schätzle, wann waren Sie das letzte Mal mit einem Türken ein Bier trinken?

Ein Bier trinken gehe ich mit überhaupt keinem Menschen. Das letzte Mal einem Türken die Hand geschüttelt, das habe ich im Laufe des Tages heute. Das war einer meiner Schüler. Aber ich bin schon öfters mit Türken zusammengesessen, um Tee zu trinken.

Die SPD im Sulzer Gemeinderat möchte einen Integrationsbeirat installieren. Was war der Auslöser?

Ein Auslöser von vielen war sicher das schwache, das ganz, ganz schlechte Abschneiden unserer beiden türkisch-islamischen, türkisch-deutschen oder deutsch-türkischen Kandidaten auf der Liste. Der eine war SPD-Ortsvereins-Mitglied, ein junger Mann und Rechtsanwalt, der bereits eine ganze Weile in Sulz lebt. Der andere ist der Stellvertreter des türkisch-islamischen Vereins. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass der letztgenannte hunderte von Stimmen aus dem Bereich der Deutschen türkischstammiger Abstammung mobilisieren könnte. Und nichts ist daraus geworden.

Das hat Sie enttäuscht?

Das hat mich enttäuscht und vor allem gewundert. Das Beispiel hat aber auch gezeigt, dass es diesen beiden nicht gelungen ist, die vergleichsweise unbewegliche türkische Gemeinde zur politischen Aktivität zu bewegen.

Es gab mehrere Anstöße?

Ja, es gab noch eine ganze Reihe anderer Anstöße wie zum Beispiel das Auftreten der NPD im Landtag. Und meine Erfahrung in Rottweil, wo ich zehn Jahre lang Jugendschöffe war.

Was war da los?

Ich habe einfach gesehen, dass es zwei Gruppen gibt, die überproportional vor Gericht aufgetaucht sind. Das eine waren Deutsche, die aus den ehemaligen Sowjetrepubliken kamen, oder Deutsch-Türken. Mir ist klar geworden, dass es eine Reihe junger Menschen insbesondere auch in Sulz gibt, die in der Gefahr sind, völlig abzugleiten – und zwar aufgrund der Sprachbarriere. Die sind nicht unsympathischer und nicht doofer als andere. Das sind ganz normale Leute. Wenn sie das Sprachhandicap nicht hätten, würden sie sich überall zurecht finden.

Was kann man dagegen tun?

Über die politischen und sprachlichen Defizite muss man reden. Deswegen auch meine Vorstöße seit vielen Jahren in Richtung Kindergarten und Sprachbetreuung. Ich habe immer wieder nachgefragt, ob wir da genügend tun. Mein Einfluss ist in dieser Sache leider nicht sehr groß. Es gibt noch etwas anderes, das mich seit vielen Jahren umtreibt. Ich habe hier am Gymnasium noch nie ein türkisches Mädchen Abitur machen sehen. Wir hatten sehr viele türkische Mädchen und haben immer mal wieder welche. Türkische Jungs machen oft Abitur. Stattdessen weiß ich von mindestens einem Fall von einer jungen Frau aus Sulz, die zwangsverheiratet worden ist. Kolleginnen und Kollegen von der Schule haben sich in der Sache engagiert, das hat aber nichts genutzt.

Welche Rolle spielt das Beherrschen der deutschen Sprache bei der Integration?

Wir müssen über Sprachbeherrschung bei Kindergartenkinder reden, nicht bei nachträglich sehr spät im Leben hier hergekommenen Erwachsenen. Wir wissen alle, wie schwer es ist, eingefleischte Verhaltensmuster zu ändern. Es geht um die Kinder der dritten oder gar der vierten Generation, dass die hier Deutsch lernen. Und auch dort gibt es angeblich Entwicklungen, die uns große Sorge machen müssen.

Welche Entwicklung meinen Sie?

Nämlich, dass die Erwachsenen der dritten Generation anfangen, sich zurückzuziehen, sich auf ihre geistigen und kulturellen Wurzeln besinnen und das Land, in dem sie leben, ablehnen. Ob wir diese Entwicklung in Sulz haben, weiß ich nicht. Aber darüber wüsste ich gerne etwas mehr und würde gerne mit unseren Bürgern türkischer und sonstiger Abstammung darüber reden.

Wie soll das gehen?

Sie wissen ja, immer wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Ich würde mir erstmal ein informelles Treffen vorstellen. Analog zu dem Muster, was wir neulich bei der Gründung des Fußballvereins hatten. Ich würde mir vorstellen, dass man erstmal die Vertreter aller Organisationen, die es in diesem Bereich gibt, an einen Tisch holt. Also nicht nur den türkisch-islamischen Verein, sondern auch Vertreter der nicht-organisierten Gruppen wie beispielsweise den Russlanddeutschen. Gemeinsam mit der Verwaltung und dem Gemeinderat könnte man überlegen, mit welchen Problemen man es zu tun hat und wie sich diese lösen lassen können.

Ein Beispiel?

Wie verhält es sich mit dem Sprachvermögen? Wie sieht es in den Kindergärten aus? Wird genug getan für das Eingewöhnen in diesem Land? Das wäre mal ein Anfang, alles andere lässt sich nicht vorschreiben.

Was soll der Integrationsbeirat noch leisten?

Ich habe ganz lange nach einem guten Begriff gesucht, aber es gibt keinen guten Begriff. Integrationsbeirat: Das ist für mich keine Einbahnstraße. Integrationsbeirat, das bedeutet für mich nicht, dass ich sage, ihr seid jetzt hier, passt euch gefälligst an. Deswegen gefällt mir dieser Begriff nicht besonders gut. Es muss im Prinzip ein Ausschuss sein für gegenseitiges Kennenlernen, für gegenseitige Achtung, gegenseitiger Respekt. Dafür ist das gedacht. Es kann nur auf der Grundlage einer solchen vertrauensvollen Zusammenarbeit gelingen, wo man auch Defizite ansprechen darf.

Welche Defizite?

Wo es einem Türken gestattet sein muss, Kritik an unserer Fernsehkultur zu üben, an der Verkaufskultur, die ja nur noch mit nackten Frauen zu funktionieren scheint. Wo es einem Deutschen andererseits gestattet sein muss, einen Türken zu fragen, was man denn bitteschön über den Völkermord an den Armeniern weiß oder wie es mit der Rolle der Frau aussieht.

Die Nachbargemeinde Empfingen macht es vor. Dort engagiert sich Gabriele Reich in Sachen Integration. Könnte es auch in Sulz auch so eine Person geben?

Frau Reich ist ein gutes Beispiel dafür. Doch sie ist sicherlich nicht eines Tages aufgewacht und hat sich gesagt, jetzt machen wir den Integrationsbeirat und ich werde dort zur führenden Figur. Das hat sich ergeben, und wie es in Sulz läuft, weiß ich nicht.

Eine tolerante Gesellschaft, die nicht gleichgültig ist. Wie sieht die aus?

Toleranz kann nicht dadurch entstehen, dass man Dinge nicht anspricht und sie sich gegenseitig verschweigt. Es muss möglich sein, Fragen zu stellen, wenn beim anderen etwas als Defizit empfunden wird. Es muss möglich sein, zu fragen, warum türkische Frauen in Sulz in der Öffentlichkeit so gut wie nie auftauchen außer am Steuer eines Autos. Warum es praktisch so ist, dass mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen, türkische Frauen bei der Eröffnungen irgendwelcher Ausstellungen oder offiziellen Veranstaltungen nie erscheinen. Die Gesetze dieses Landes haben Vorrang vor irgendwelchen anderen kulturellen Gebräuchen. Das Grundgesetz gilt mehr, als es irgendeine Religion oder Sitte vorschreibt.

Man weiß zu wenig voneinander?

Man braucht Kenntnisse. Absolut, das gilt für beide Seiten. Es gibt so vielfältige Verflechtungen, von denen wir gar nichts wissen. Was wissen wir denn über Kirgisien und Kasachstan und wo all die Leute herkommen? Zu Hause waren sie Ingenieure, und jetzt verrichten sie hier andere Arbeiten und müssen sich in einer fremden Umgebung behaupten und nicht immer zu den freundlichsten Bedingungen. Aber auch hier aus dem Mühlbachtal hat es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es den Leuten mit den Hungersnöten ohnehin so schlecht ging, viele Leute gegeben, die aus dem Mühlbachtal in die Sowjetunion ausgewandert sind.

Hat Ihr Antrag Chancen?

Ich denke, dass der Antrag Chancen hat. Ich denke, dass das Problem allen Menschen, die sich mit der Situation befassen, auf den Nägeln brennt – insbesondere das Sprachvermittlungsproblem.

 

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